…… man aufhört Dinge zu tun, von denen man glaubt dafür zu alt zu sein.
Dachte sich Rolf (69), der Vorsitzende der ERG1900 und gab sich auf eine besondere Reise
Wenn eine Freundin 60 wird, fährt man doch gerne mit dem Rad auf´n Bier vorbei?
Wenn sie aber diesen Tag 300 km entfernt an der Nordsee in Greetsiel verbringt, was dann?
Kann man auch auf´n Bier mit dem Rad vorbei fahren. Ist allerdings ein bisschen aufwendiger, geht aber.
Nun gut, ob ich dort ankommen würde oder Gabriele mich unterwegs mit dem Besenwagen aufsammelt, das wusste ich ehrlich gesagt noch nicht. Zumindest bis zur 230 km entfernten Meyer Werft in Papenburg wollte ich es aber aus eigener Kraft schaffen.
Das wäre dann auch schon meine bis dahin längste Fahrt gewesen.
Natürlich geht das nicht ohne sorgfältige Vorbereitung und besonders, wenn man es wie in meinem Fall, alleine und unsupportet versucht.
Schön, wenn man Freunde hat, die einen immer wieder ermuntern, motivieren und Tipps geben.
Z.B. Jörg! Von Anfang an kam sein Know how und sein Wissensvorsprung für solche Projekte zum Einsatz.
Letze Frage am Abend vor der Abreise: „hast Du an Toilettenpapier gedacht“ ?
Ja hatte ich, hab`s nicht gebraucht, sollte aber in jedem Fall dabei sein.
Da sind wir bei der Frage, was sollte denn überhaupt dabei sein? Oder besser, was hatte ich dabei?
Ernährung: Zwei Brötchen, vier unserer selbst gebackenen Energie Riegel (wovon ich zwei nicht gebraucht habe), 160gr Isomaltulose für 4 Flaschen, Trinkrucksack mit 2,5l Wasservorrat, Kettennieter mit Schloss, Minitool, Flickzeug, Reifenflicken, Isolierband, 2x Powerbank mit Kabeln, zwei Schläuche, Rücklicht, Handy, GoPro, kleines Drahtschloss, Reserve Trikot.
Bei 15 Grad starte ich kurz kurz. Armlinge, unterm Trikot ein Windstopper Hemd. Für die ersten Stunden darüber die kuschelige super Regenjacke aus der ERG Kollektion.
Geplant habe ich die Strecke mit Komoot. Die Strecke orientiert sich im Wesentlichen an der Route, die bei der ERG2Nordsee Tour gefahren wird.
Erst im hohen Norden hinter Emden weiche ich ab Richtung Westen.
Komoot zeigte mir in der Planung an, dass ich 170km auf gewöhnlichen Landstraßen, 110km auf Radwegen 31km auf Nebenstraßen und so gut wie keine Bundesstraßen benutzen würde.
Gefühlt passt das auch.
Mit Hilfe dieser Funktion habe ich die Strecke noch einmal geprüft und kritische Passagen bearbeitet.
Erste Hürde, die es zu überwinden gilt, ist das frühe Aufstehen um 4:00 Uhr.
Um 5:15 Uhr geht es los auf den von mir bevorzugten und bekannten Strecken Richtung Raesfeld.
Vollkommen neue Eindrücke. Ich bin alleine auf den Straßen und erlebe wie die Welt erwacht.
Schermbeck: Beim Anblick der Windräder offenbart mir deren Drehrichtung: Der Wind arbeitet nicht für mich.
Windräder sollen mich auf meinem Weg begleiten. Mal drehen sie sich schneller, mal langsamer. Aber immer in der gleichen Richtung. :-)
Südlohn – Stadtlohn – Ahaus – Gronau ………………..Der EDGE 1000, mein treuer Begleiter, leistet seine Arbeit hervorragend. Erst nach 10 Stunden musste ich eine Powerbank anschließen.
Je weiter ich mich in den Norden hinauf arbeite, um so klarer wird mir: das wichtigste Arbeitsmittel der Verkehrsplaner hier ist das Lineal. Endlos weit scheinen sich die Radwege entlang der Straßen zu ziehen. Einzige Abwechslung ist der Garmin. Mal ein Blick auf die Karte, wie weit geht es noch geradeaus und wann darf ich endlich mal wieder abbiegen? Mal ein Blick auf die Leistungsdaten, kann ich die Power halten? Mal ein Blick auf die Streckendaten, wie schnell bin ich denn, 25kmh Durchschnitt hatte ich gedacht wäre super. Trotz des Windes gelingt es mir das Tempo um die 27-30km/h zu halten.
4Std fahre ich nonstop und mache nach 100km die erste Pause in Gronau.
Ich nehme mir vor die nächste Pause nach 75km einzulegen. Was dann auch gelingt. Wie schon beim letzten Stopp in Gronau dient mir auch hier eine Bushaltestelle als Sitzgelegenheit.
Das Dröhnen der vorbei bretternden KFZ macht mir klar, dass ich hier nicht auf der Straße fahren möchte und setze meine Fahrt auf dem kaum mehr als 1m breiten endlosen Fahrradstreifen fort.
Nächster Halt soll wieder nach weiteren 75km sein.
Ein Abstecher ist eingeplant, um einen Blick auf die Meyerwerft in Papenburg zu werfen.
Ein Selfie mit meinem kleinen Ruby Rädchen vor einem Kreuzfahrtschiff hätte ich gerne. Fehlanzeige ich sehe nix, ein Zaun versperrt den Weg. Also gar nicht erst anhalten und weiter.
Papenburg war mein Minimalziel. Ich hatte mir vorgenommen, es mindestens bis hier her zu schaffen.
Aber in Papenburg angekommen ist der Besenwagen mit Gabriele am Steuer noch in weiter Ferne.
Kräftemäßig kein Problem, also weiter.
Wenige km hinter Papenburg wartet Paris Rubay auf mich. In einem kleinen Dorf schüttelt es mich auf dem Pflaster ordentlich durcheinander. Ich gebe auf und lasse mich erst einmal nieder um mich zu stärken. Langsam vergeht mir die Lust auf Bushaltestellen, es stinkt.
Zwei Großstädte, Leer und Emden liegen noch auf meinem Weg. Hier würde ich die Strecke für das nächste Mal noch einmal überarbeiten. Die Radwegbeschilderung verbannt mich auf die gepflasterten Radwege. Grauenhaft, ich würde ich es mühelos im fließenden Verkehr schaffen mit zu rollen ohne den Autoverkehr auf der 2spurigen Straße zu behindern. Statt dessen halte ich an fast jeder Ampel und der Verkehr rollt an mir vorbei. Bis ich es leid bin und auf der Straße fahre. Kein Gehupe, niemand regt sich auf, alles gut. Ich habe das Gefühl, dass mich dieses Gebremse mindestens eine viertel Stunde gekostet hat.
Hinter Emden bremsen mich höchstens noch die gepflasterten und teilweise schlecht gepflegten Fahrradstreifen. Ich tue es mir nicht mir an und bleibe auf der Straße.
Hatte ich bis hier her auf 250km erst 3 Boxenstops nur zur Grundversorgung eingelegt, entschließe ich mich 60km vor dem Ziel den Wasservorrat aufzufüllen und gehe das erste Mal einkaufen.
Lasse mir ein frisches Brötchen beim Bäcker schmieren und mische eine kleine Menge Isomaltulose in die neu befüllten Wasserflaschen.
Wie ein Gaul, der den Stall riecht und nicht mehr aufzuhalten ist, trete ich die 125 Watt Dauerleistung, die ich jetzt schon fast 12 Stunden auf dem Display sehe weiter. Und habe das Gefühl, dass noch was geht
Langsam meldet sich aber auch eine innere Stimme, die versucht mir einzureden, dass ich doch gleich im Ziel bin und aufhören könne. Habe ich es etwa mit dem inneren Schweinehund zu tun?
11 ½ Stunden habe ich den Kampf gegen ihn erfolgreich geführt und lasse mich auch jetzt nicht unterkriegen.
Nach 11:50 Std Bewegungszeit und 300km sehe ich das Ortsschild von Greetsiel und könnte abbiegen. Gabriele, meine Freunde und das Abendessen warten auf mich.
Nix da. 300 km an`s Meer und am Ende das Meer nicht gesehen? Das geht gar nicht!
Also weiter, rauf auf den Deich. Ich genieße den Blick in die Ferne, bin allein hier oben und kann es kaum fassen. Genieße die Stille.
Ich hab`s geschafft, allein und vor allen Dingen mit mir selbst.
Mit minimalem Equipment.
Schnell noch das Sellfie. Die Sonne steht noch hoch über dem Horizont.
Bestimmt wird es noch eine Weile dauern, bis ich begreife, welche Energien da am Werke waren.
Die Corona Einschränkungen hatten eine ERG2Nordsee Tour nun schon zum zweiten Mal zu Fall gebracht.
So wuchs seit einiger Zeit die Idee, die Strecke in einer Kleingruppe selbst organisiert zu fahren.
Der Geburtstag der Freundin in Greetsiel gab den Anstoß, es alleine zu versuchen.
Was nicht ausschließt, es in diesem Jahr noch einmal zu tun.
Allen die mich motiviert haben und Tips gegeben haben, danke danke danke.
Wen es interessiert, kann hier mehr erfahren über meinen Weg zum Radsport.
Quasi meine Radsportbiografie.
Hammertour Rolf!!!! Großen Respekt und klasse geschrieben. Glückwunsch!!!!!!
Willkommen im Club, Rolf!
Jetzt lohnt es sich, den Artikel (noch)mal zu lesen:
https://www.veloq.de/2018/03/13/300km-sind-nur-150km-pro-bein/
Besser kann man es nicht sagen…